Tierwohl und Bienen: Wie kann das gehen?

©Michael Weiler

Das Thema Tierwohl bei Völkern der Honigbienen ist in Richtlinien der Bio-Imkerei bislang kaum bis überhaupt nicht präsent. Wie eine bienengemäße und imkerlich sachgerechte Erörterung und Entwicklung aussehen könnte, beschreibt Imker Michael Weiler.

Für landwirtschaftliche Nutztiere wurden in den letzten Jahren von BIO AUSTRIA und Experten aus der Praxis und Forschung Leitfäden für Tierwohl erarbeitet. Diese sollen unsere Mitgliedsbetriebe dabei unterstützen, dass sie das Wohlergehen ihrer Tiere jederzeit fachlich richtig beurteilen können.

Für Bienen steht ein Tierwohl-Leitfaden noch aus. Können jedoch Fragestellungen und Methoden, die bei anderen landwirtschaftlichen Nutztieren zum Erfassen von Tierwohl angewandt werden, auf die Honigbienen übertragen werden?

Befinden ermitteln

Es gibt seit vielen Jahrzehnten für die als landwirtschaftliche Nutztiere gehaltenen Haustiere Untersuchungen und Grundlagen für eine Einschätzung des Tierwohls. Diese betreffen zum Beispiel das Bewegungs-, Ruhe-, Fress-, Paarungs- und Aufzuchtverhalten. Es werden von nicht domestizierten Verwandten wie Wildschweine oder Wildrinder Verhaltensparameter abgeleitet und mit dem Verhalten der Tiere in Nutztierhaltungssystemen verglichen und diese danach bewertet, wie artgemäß sich die Nutztiere verhalten können.

Die meisten landwirtschaftlichen Nutztiere sind Säugetiere und somit in vielen Merkmalen der Verhaltensäußerung mit dem Menschen verwandt. Seelisch können wir ihre Bewegungs- und Lautäußerungen nachbilden und dadurch etwas über ihre Befindlichkeiten erfahren – wir können mitfühlen. Soweit dieses Mitfühlen frei von sentimentalen Projektionen ist, kann es einen hohen Aussagewert über das Befinden des Tieres vermitteln.

Biene und Volk

Sofern uns in der Natur beim Blütenbesuch eine Honigbiene begegnet, lässt sich deren Verhalten jedoch kaum vom Verhalten anderer verwandter blütenbesuchender Insekten unterscheiden. Wenn wir der Honigbiene folgen, finden wir, dass sie zu ihrem Volk fliegt, und das Gesammelte dort „abgibt“. Die solitär lebenden Bienen schaffen meist ganz für sich allein ein kleines Gelege, um ihre eigene Art zu erhalten.

Wie würde sich hier der „Eigenwert“ erkennen und bestimmen lassen? Hat die Einzelbiene diesen oder ist er eine Eigenschaft des Bienenvolks? Oder gilt er gar für beides?

Bei der Einzelbiene erscheint das Gegenüber noch lokalisierbar. Aber schon beim Bienenschwarm, der vor unseren Augen an einem Ast hängt, ist nicht mehr so klar, wer das Gegenüber ist. Der Schwarm umfasst tausende Einzelbienen, die großteils in eigener Bewegung sind – der Zusammenhang ihrer Bewegungen mit der Gesamtheit erschließt sich dem Auge nicht unmittelbar.

Beim Bienenvolk in seiner Höhle ist es nicht viel anders – lediglich treten noch weitere Aspekte in Erscheinung. Der Imker sieht Waben, in den Zellen der Waben Brut oder Vorräte von Honig und Pollen. In modernen Beutensystemen ist dies alles beweglich und der Imker hantiert mit beweglichen Teilen. In diesen Teilen findet schneller oder langsamer Veränderung statt. Das, was der Imker Bienenvolk nennt, kann er mit Augen gar nicht sehen – die Sinne vermitteln ihm nur Teile, die sich unabhängig voneinander bewegen oder verändern.

Bienenvölker können nahezu beliebig zerlegt und wieder völlig anders zusammengefügt werden und bilden doch fast immer wieder neue lebensfähige Einheiten. Dabei wird aber jeweils die räumliche Einheit willkürlich zerteilt – eine zeitliche Kontinuität des Organismus findet überhaupt keine Berücksichtigung.

Elementare Lebensäußerungen

Müsste sich hier eine ökologisch oder gar wesensgemäß orientierte Imkerei einen anderen Rahmen geben? Und, wenn ja, woran hätte sich dieser zu orientieren?

Um Kriterien dafür zu finden, sind elementare Lebensäußerungen (Die Lebensäußerung ist eine wahrnehmbare Folge der Lebensweise eines Organismus, Anm.) von Honigbienen und Bienenvölkern zu erfassen. Diese sind dann daraufhin zu untersuchen, wie unterschiedliche Materialien und Betriebsweisen der aktuellen Imkereikultur diese beeinträchtigen, unterstützen oder sich neutral dazu verhalten.

Ausbreitungsverhalten Auch in der Bio-Imkerei wird durch verschiedene Maßnahmen manipulierend auf den Schwarmprozeß in den Völkern eingewirkt und das Entstehen „akuter Schwarmstimmung“ mit folgenden Schwärmen unterdrückt.

Höhle und Wabenbau Die Höhlensuche und der Einzug in die Höhle finden in der Regel nicht statt. Naturhöhlen, in denen Völker der Honigbiene leben, sind außerordentlich vielgestaltig. Die Bienen brauchen keinen Standard. Vom Menschen angebotene Behausungen sind meist symmetrisch, innen glattflächig und weitgehend standardisiert. Durch die Gabe von Mittelwänden werden die Bauimpulse der Bienen stark verdrängt.

Im Bienenstock Zu den Lebensäußerungen im Bienenstock gehören die Ausbildung eines Wärmeorganismus, eines spezifischen Duftmusters und die Organbildung.

  • Wärmeorganismus: Inwieweit die Maßnahmen des Imkers den Wärmeorganismus in seiner Geschlossenheit beeinträchtigen, kann teilweise nur vermutet werden. Klar ist, dass jede Inspektion der Völker eine folgende Kompensation des Wärmeverlusts benötigt.
  • Duftmuster: Es ist zu erwarten, dass der Einsatz von Mittelwänden oder Waben aus anderen Völkern jeweils eine Kompensation der Duftirritation im so manipulierten Volk nötig macht.
  • Organbildung: Die Organbildung im Bienenstock ist jeweils ein außerordentlich dynamischer Prozess. Bis auf den Wabenbau und die Königin bilden sich die für die Lebensfunktionen erforderlichen Organe ständig dort neu, wo sie „gebraucht“ werden aus den Bienen, die gerade in ihrer biografischen Entwicklung physiologisch dazu bereit sind, die Funktionen zu erfüllen. Die imkerlichen Maßnahmen können diesen Verlauf beeinträchtigen.

Brut Die Ausbildung einer geschlossenen Brutsphäre kann durch das Beutensystem (kleine Rahmenmaße, Breitwaben etc.) behindert werden. Es wird vermutet, dass imkerliche Maßnahmen Einfluss auf die Rhythmen der Brutentwicklung haben. Es wird jedenfalls die Brutsphäre und damit der Legegang der Königin durch Umhängen von Waben irritiert.

Das Vermehrungs- und Paarungsverhalten wird am stärksten bei künstlicher Besamung von Königinnen beeinflusst. Begattungsvölkchen auf Belegstellen scheinen auch eher künstlich. Inwieweit sich die Unterdrückung der Drohnenbrut beziehungsweise das Drohnenschneiden auswirken, ist unbekannt.

Tierwohl fördern

Es ist immer wieder erstaunlich, was Imker alles mit Bienenvölkern anstellen, wie sie diese manipulieren, auseinandernehmen, nahezu beliebig und neu zusammensetzen, mit den Einzelgliedern umgehen, Künstliches hineinbringen und vieles mehr – und doch scheinen immer wieder neue lebensfähige Völker zu entstehen.

Aber natürlich – Imkerei als Kulturform dient auch dazu, dass der Imker den Menschen den Honig verfügbar macht.

Wie also kann der Imker oder die Imkerin die natürliche Lebensweise der Honigbiene berücksichtigen und so das Tierwohl bestmöglich fördern?

Schwarmtrieb

Der Schwarmtrieb der Bienenstöcke mit allen Erscheinungen, die dann im Schwarmprozeß auftreten, und schließlich die Entwicklung von Schwärmen sind Grundlage zur Erhaltung, Vermehrung, Ausbreitung, Verjüngung und Entwicklung der Bienenvölker und zur Auslese des Bienenbestandes. Die Praxis der Schwarmvorwegnahme aus dem Volk in akuter Schwarmstimmung ist ein bewährtes Verfahren zur Gewinnung nackter Schwärme.

Standbegattung und Selektion (Basiszucht) führen in der Tendenz zu regional angepassten Bienen.

Naturwabenbau

Der Naturwabenbau ist die Basis, auf der sich die Bienenvölker in den zur Verfügung gestellten Hohlräumen einrichten. Dies lässt sich aus der Arbeit mit der Schwarmstimmung gut erreichen, da nackte Schwärme neuen Wabenbau sehr gut aufbauen und man gewinnt auf Dauer reines und qualitativ hochwertiges Bienenwachs. Und die selbstgebauten Waben korrelieren am besten mit dem individuellen Duftmuster jedes Volks.

Dem Bedürfnis und der Handlungsnotwendigkeit des Imkers entspricht in der aktuellen Zeitlage, dass er die Kulturbeziehung mit den Bienen auf als notwendig erlebte Beweglichkeit gründet und deshalb mit Mobilbau arbeiten will – insofern wäre auch dieser möglich.

Beutensysteme

Die zur Verfügung gestellten Beutensysteme sollten eine Bedingung erfüllen: Nämlich, dass der Brutraum und die darin befindlichen Rahmen so dimensioniert sind, dass sich die Brutsphäre des Bienenstocks möglichst organisch-sphärisch darin entfalten kann, ohne räumlich in der Ausdehnung zu starke Beschränkungen zu erfahren und ohne von Rähmchenleisten durchtrennt werden zu müssen. Passende Volumina für Bruträume liegen bei gut 40 Litern mit Waben ausbaubarem Raum innerhalb der beweglichen Rahmen im Brutraum. Die Konsequenz aus dieser Bedingung ist, dass zum Beispiel in Magazinsystemen mit einräumigen Bruträumen gearbeitet wird (und natürlich, dass alle Waben dort Naturbauwaben sind).

Wenn mit Honigräumen gearbeitet wird, dann ergibt sich nicht nur aus praktischen Gründen (Volumenvergrößerung bei der Honigraumgabe, Gewicht etc.), dass eher Flach- oder Halbzargen verwendet werden und dass auch hier Naturwabenbau angestrebt wird.

Daraus ergibt sich eine zweite recht einfache Herleitung: Der ausreichend dimensionierte Brutraum ist für die Bienen – nur der Honigraum ist für den Imker. Im Brutraum wird dann lediglich in der Form von „Kulturmaßnahmen“ eingegriffen, aber normalerweise keineswegs, um auch hier Honig zu entnehmen.

Nehmen und geben

Sobald der Mensch beginnt, nicht nur aus den Naturprozessen zu nehmen, was er für sein eigenes Leben benötigt, sondern diese Prozesse in seinem Sinne zielvoll zu gestalten, verändert er deren Abläufe und Zyklen. Das ist in der Imkerei nicht anders.
Dies kann die Potentiale der Organismen, mit denen der Mensch umgeht, sowohl fördern als auch beeinträchtigen. In der Vergangenheit war der Einfluss des Menschen häufig fördernd, Lebenserscheinungen in der Natur reicher machend (Vielfalt durch Kulturleistung, zum Beispiel Rosengewächse, lichtoffene Bereiche an Waldrändern durch Rodung etc.). Gegenwärtig herrscht der Eindruck, dass der Mensch eine gegenläufige Entwicklung schafft, welche die Natur ärmer macht.

Autor: Michael Weiler, Imker, Autor und Referent, Fachberatung Demeter-Bienenhaltung und ökologisch orientierte Imkerei, Gudensberg (D)

Weitere Informationen zum Thema und Termine finden Sie auf der Website des Autors: www.der-bienenfreund.de/publikationen/